Back to top
28 08 | '14

Blockade

Wieder einmal sitze ich im Zug. Ich habe diesen Artikel von dem Typen gelesen, der sich vorgenommen hat, ein Jahr lang jeden Tag zu schreiben. Und wenn es nur zehn Minuten sind. Wenn ich mir vorstelle, was ich da alles schreiben könnte, wenn ich mir nur diese verfluchten zehn Minuten am Tag nehmen würde. Aber es muss mindestens ein Zeitblock von vier Stunden sein und wenn es dann gegen Abend ist, bin ich eh zu müde und - ach was, morgen ist ja auch noch ein Tag! Eigentlich sollte ich eh wieder mal das schmutzige Geschirr waschen. Der Teppich sieht wie eine Krümelwüste aus, wenn ich den nicht bald staubsauge, fängt er an, zur Lebenswelt für viele kleine Wesen zu werden. Ach ja, nicht zu vergessen meine Jobs, schliesslich muss ich ja auch noch meine Brötchen verdienen, die eben diese Krümel auf dem Fussboden produzieren. Das geht mir nicht nur beim Schreiben so, beim Zeichnen ist es genauso.
Draussen sehe ich ein herrliches Maisfeld. Und Obstbäume. Gerne würde ich jetzt da draussen rumspazieren. Habe ich schonmal erzählt, dass ich mir früher dieses klassische Schriftstellerhäuschen vorgestellt habe? Wenn ich nur dieses Häuschen im Wald hätte, dann würde ich schreiben wie eine Marathonläuferin!
Und so träumt man vor sich hin. Man stellt sich vor, was wäre, wenn es nur nicht regnen würde oder wenn der Saturn nicht gerade an der falschen Position wäre und und und. Abends ist der Tag vorbei. Und man/frau hat wieder nichts gemacht. Morgen, ja morgen wird alles besser.
Und wenn ich dann einmal dran sitze und ein neues Projekt anfange, dann bin ich ganz euphorisch. Das Projekt wird grandios, es wird gigantisch, es wird die Welt revolutionieren! Wieso nicht gleich ein ganzes Buch, ach was, eine ganze Bibliothek erschaffen? Und plötzlich bin ich wieder blockiert. Deshalb mein Tipp: Sei keine grossartige Künstlerin, revolutioniere nicht die Welt - zeichne, schreibe, musiziere heute einfach ein bisschen. Und morgen wieder. Und übermorgen wieder. Und irgendwann wird dein Werk vielleicht die Zivilisation erleuchten oder die Erderwärmung stoppen, aber das ist dann nicht mehr in deiner Hand.
Ich habs heute geschafft. Ich hab tatsächlich geschrieben! Fünfzehn Minuten, mehr war gar nicht nötig. Davor hat es sich angefühlt, als müsste ich den Säntis besteigen. Dabei war es eine nette Kurzwanderung, die sehr viel Spass gemacht hat. Ich fühle mich nicht erschöpft, sondern erholt, zufrieden, erfüllt. Draussen sehe ich gerade die ein Feld mit reifen Sonnenblumen. Ob ich wohl bei mir zu Hause Sonnenblumen pflanzen könnte? Ich mag Sonnenblumenkerne.

Der Artikel über den, der 373 Tage lang geschrieben hat