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29 12 | '16

Die Fliege

Heute morgen im Zug: jeder Platz besetzt. Neben mir eine Dame im Pelz, die penetrant auf den Bildschirm meines Laptops starrt, als könnte sie darin den Sinn ihres Lebens entdecken. Als ich zum Tippen meines Textes das Display komplett verdunkle, starrt sie auf meine tippenden Finger. "Die war wohl mal Sekretärin", geht es mir durch den Kopf. Das ist so wie mit der Fliege. Es ist ja deshalb so verdammt schwer, eine Fliege zu zerklatschen (was man aus Karma-Gründen ohnehin nicht tun sollte), weil sie viel mehr Einzelbilder sieht wie wir – für sie nähert sich die Hand in Zeitlupentempo. Sie kann währenddessen nochmals ihre Fühler putzen, einmal kurz auf unseren nackten Oberschenkel kacken, bevor sie dann gemütlich davon surrt und sich fragt, wieso der Mensch am anderen Ende des Arms sich schon wieder so aufregt. Um dann wieder auf derselben Stelle zu landen. Und für die Sekretärin sind meine tippenden Finger wohl Zeitlupe und somit wie Klartext lesbar. Ich überlege, von Hand zu schreiben – dann könnte ich notfalls mit dem Kugelschreiber dafür sorgen, dass sie nichts mehr sieht – entscheide mich aber dagegen. Schlecht fürs Karma. (Obwohl – seit man Karma im Supermarkt kaufen kann, hat sich die Problematik etwas entschärft. Einfach ein bisschen geräucherten Tofu kaufen, dann ist alles im Butter.) Statt dessen nehme ich den Kaugummi aus dem Mund und lasse ihn dezent über meinen Arm auf den Pelz rollen...

Währenddessen schminkt sich eine junge Frau die Wimpern. Als ich sie anschaue, straft sie mich mit einem starrendem Blick. Ich muss wieder an den Wahlslogan der SBB denken und überlege, wann wir soweit sein werden, uns im Zug die Nasenhaare zu trimmen. Da nützt es auch nichts, dass die junge Dame eine Tasche einer Edel-Modemarke bei sich stehen hat. Ich muss an Roland Barthes denken, der beschreibt, wie billige Geschenke in Japan trotzdem in eine edle Verpackung gehüllt werden.

Schliesslich gebe ich auf und klappe den Laptop zu. Mache mir eine geistige Notiz, mir nachher eine Fliegenklatsche kaufen zu gehen. Nur für alle Fälle.