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20 05 | '17

Die Holzbrücke.

Kürzlich ging ich über eine Holzbrücke. Da spielte ein Mann auf einem Keyboard, wobei "spielen" in diesem Fall die Klangwelt meint, die ein zweijähriges Kind erzeugt, wenn es mit den flachen Händchen auf die Tastatur patscht. Nun gut, entweder hatte er einen besonders ausgefallenen Musikgeschmack oder das Prinzip von Strassenmusik noch nicht ganz durchdrungen (nämlich dass Strassenmusik nichts mit Erpressung zu tun hat, woraufhin die verzweifelten Passanten ihm Geld in den Hut werfen, damit er doch bitte zu spielen aufhöre). Einige Tage später ging ich erneut über die Brücke und siehe da, derselbe Mann spielte einwandfrei ein zwar eher langweiliges, aber durchaus harmonisches Lied. Geht doch!, dachte ich nur für den Bruchteil einer Milisekunde, bevor mir auffiel, dass seine Fingerbewegungen nicht wirklich mit dem Lied synchron liefen. Er hatte die Lieder entdeckt, welche auf dem Keyboard gespeichert waren.

Natürlich hat mir das ein Schmunzeln entlockt, doch dann wurde ich nachdenklich. Dieses erste Stadium – das orientierungslose Klimpern auf den Tasten – ist schwer auszuhalten. Zu oft springt man (oder zumindest ich) auf den erstbesten Zug auf, der ein beeindruckendes Ergebnis verspricht. Zu oft wiederholt man dieselben Komponenten, weil man bereits weiss, dass sie ein gutes Bild ergeben werden. Und ich fühle mich dann oft wie der Strassenmusiker mit dem Musikcomputer. Die Bilder sind gut, sie haben vielleicht sogar Charme und Witz, sie funktionieren, aber gleichzeitig sind sie wie eine falsche Goldmünze. Einmal drauf gebissen, einmal tiefer gegraben, zeigt sich, dass es sich nur um einen billigen Schokotaler handelt, weil die tiefere Substanz fehlt. Es gibt nur unifarbene Farbflächen, es gibt nur hohe Kontraste, nur Schwarz und Weiss, keine Graustufen, keine Räumlichkeit (und ich bin überzeugt, dass sich eine gewisse Räumlichkeit des Denkens auch in der visuellen Räumlichkeit zwangsläufig niederschlagen muss).

Und dann muss man sich als GestalterIn überlegen, ob man die Fingerbewegungen mit dem Musikcomputer so gut synchronisieren lernt, dass die Täuschung kaum mehr auffällt – oder ob man zurück geht auf Feld 1 und wieder wie ein zweijähriges Kind die Welt neu entdeckt, mit allem, was dazu gehört. Mit dem Risiko, zu scheitern, mit den Ängsten, der eigenen Verletzlichkeit und einer schonungslos ehrlichen Haltung. Ich versuche, letzteres zu tun. Was auch bedeutet, dass ich derzeit keine Bilder von mir veröffentliche oder herzeige, um erst einmal unabhängig von den Reaktionen eines Publikums klimpern zu lernen.