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10 11 | '16

Die Muse und die Spinne

Meine Muse hat inzwischen etwas hellere Stacheln bekommen – ich hatte keine Ahnung, dass so ein Kaktus doch recht viel Wasser braucht. Die Pflanzenwelt hat sich aber unterdessen untereinander arrangiert. Der Basilikum und die tomatenlose Tomatenpflanze kriegen gleichzeitig ihre Trauerstimmung, in der sie sich richtig hängen lassen. Das ist meine Schuld, ich weiss.

In der Kunst gibt es kein Navigationssystem, kein externes Sternensystem, nach dem wir uns ausrichten können. Kunstwerke sind eine Mischung aus unseren Vorlieben, unserem Wertesystem, äusseren Lebensumständen... und der Prozess dahin ist direkt mit dem eigenen Gehirn verknüpft, so meine These. Um den Prozess steuern zu können, muss man das eigene Gehirn kennen. Beispiel: In meinem Gehirn hockt eine kleine Spinne. Die spinnt da fleissig ihre Fäden vor sich hin, wie man das von Spinnen eben so kennt. Ab und zu frisst sie eine Mücke. Alltag. Und dann plötzlich verhält sich die Spinne wie auf einem LSD-Trip – die Netze sind nicht mehr regelmässig, sondern da werden willkürlich Punkte miteinander verknüpft, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben. Das ist einerseits gut – schliesslich soll Kunst ja überraschen und nicht eine ewig wiederkäuende Kuh auf der leer gefressenen Weide sein – andererseits ist es ein Problem. Denn die Dosierung des "LSD's" darf nicht zu hoch und nicht zu niedrig sein. Ist sie zu hoch, gibt es aus den Netzgebilden einen hässlichen Klumpen. Im schlimmsten Fall ist es wie ein Stück Fleisch, das man schon ewig gekaut hat und nicht mehr herunterschlucken kann. Ist sie zu niedrig, gibt es rosarote Sonnenuntergänge, ein Einhorn mit einem Farbverlauf im Hintergrund oder die nächste Einrichtungsdeko für dieses grosse gelbe Möbelhaus. Und dann wieder will die Spinne davonlaufen und sich billig produzierte Fernsehsendungen ansehen. Ich lasse sie für einen Moment ausruhen, aber dann setze ich sie zurück in ihr Netz. "Du stellst dich jetzt der Situation", sage ich zu ihr. Denn ich weiss zu gut: Davonlaufen wetzt nicht nur die Schuhsohlen stärker ab, es führt auch immer im Kreis. Manchmal muss man ein Projekt abbrechen, in dem man sich verfahren hat. Aber ich hab viele, viele angefangene Projekte, die nie zu Ende gebracht wurden – bis ich gemerkt habe, dass es immer dieselben Probleme sind. Schlussendlich liegt es nicht am Projekt, sondern an mir. Zu glauben, alles würde sich in Wohlgefallen auflösen, wenn ich nur die perfekte Idee, die perfekte Technik, den perfekten Haufen Pferdeäpfel finden würde, ist eine Illusion. Es ist viel, viel Arbeit – aber es ist das alles wert. Es gibt nichts Schöneres, als Kunst zu machen.