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30 08 | '17

Ratgeber: Das Leben nach dem Studium

Glücklich standen wir mit einem Glas Rotwein im Getümmel der Vernissage, blickten hin und wieder verstohlen zur eigenen Abschlussarbeit, ob wohl ein paar Leute Interesse hätten und wie sie reagierten. Später sassen wir noch in geselliger Klassenrunde zusammen. Wir hatten es geschafft!

Was wir alle zu diesem Zeitpunkt noch nicht realisierten: jetzt ging es erst richtig los.

Hürde 1: der Nachstudiums-Blues

Die Bachelor-Arbeit war sehr intensiv und forderte von allen viel Energie und Nerven. Entsprechend folgte eine Phase, in der wir unglaublich froh waren, einmal nicht mehr kreativ sein zu müssen. Da ist auch gut so, denn nach drei Jahren Hochleistungssport ist der Akku möglicherweise gerade etwas leer oder man hat sich in gewissen Verfahrensweisen festgefahren. Wieder einmal ins Kino, einen netten Grillabend veranstalten, in die Ferien oder einfach ein spannendes Buch lesen, das alles hilft. 

Hürde 2: die Jobsuche

Nach dem Studium stehen die meisten erstmal mit wenig Geld und ohne Job da. Und blöderweise sind gerade jetzt diejenigen in den Ferien, welche die Jobs vergeben. Wer schon frühzeitig sich umgesehen und möglicherweise schon einen Job klargemacht hat, kann etwas entspannter in die Nachstudienzeit aufbrechen. Wenn genug Zeit und Energie da ist, lohnt es sich, vor oder während der Bachelor-Arbeit sich schon einmal umzusehen. Wenn nicht – irgendwie klappt es immer. Selbst wenn der erste Job nach dem Studium dann halt erstmal Kellnern heisst. Übrigens ist es zu empfehlen, sich bei Gelegenheit auch mal in die Rahmenbedingungen des RAV einzulesen. Nur für alle Fälle.

Ich habe mir mein Arbeitspensum bewusst aus mehreren Teilzeit-Stellen kombiniert, um Zeit für eigene kreative Projekte zu haben. Das hat den Nachteil, dass man sich gut organisieren muss und dass man gelegentlich auch mal mehr arbeiten muss, als ursprünglich eingeplant. Und ich arbeite bei einigen Jobs im Stundenlohn, was eine gewisse finanzielle Unsicherheit mit sich bringt. Existenzängste sollten nicht unterschätzt werden, insbesondere deren möglicherweise hemmender Einfluss auf die kreative Tätigkeit. Auch stellt sich die Frage, ob man nicht zumindest einen Teil des Einkommens aus einer Festanstellung beziehen möchte, um nicht jeden Illustrations-Auftrag zwingend annehmen zu müssen. Auf der anderen Seite habe ich schon gehört, dass ein gewisser Produktionszwang auch mal Flügel verleihen kann.

Hürde 3: kreativ zu bleiben

Hat man sich erst einmal in einem Job eingerichtet, der nichts mit Kreativität zu tun hat, ist es verführerisch, sich in die Arbeitswelt hineinziehen zu lassen und die Kreativität an den Nagel zu hängen. Endlich mal wieder Geld für Klamotten, für Ferien, für eine schönere Wohnung. Und oft ist das Geld andernorts sehr viel leichter verdient als in der Kreativbranche.

Es hilft, mit KollegInnen gemeinsame Projekte aufzuziehen, ein Gemeinschaftsatelier zu gründen oder einfach kreativ mal die Sau rauszulassen und alles zu machen, wofür im Studium zu wenig Zeit vorhanden war. Mir persönlich hat es geholfen, morgens mindestens 1h für die Gestaltung zu reservieren. Das bringt eine gewisse Regelmässigkeit/Konstanz, die den Arbeiten meistens guttut. Dank flexiblen Jobs kann ich meine Arbeitsstunden auch problemlos mal auf den Nachmittag verschieben, wenn ich zwei, drei Stunden anhängen möchte.

Hürde 4: sich organisieren

Wer freischaffend arbeitet, muss sich zwangsläufig organisieren. Vor einigen Jahren war ich total begeistert von Produktivitätssystemen, Zeitmanagement usw. Auch wenn GTD (Getting things done) vermutlich ein wenig übertrieben ist, kann es lohnenswert sein, sich da mal einzulesen. Als Basics empfehle ich zumindest bezüglich Jobs eine Todo-Liste pro Job. Meine privaten Projekte haben ein wenig die Tendenz, unerwartete Wege zu gehen, deshalb lohnt sich hier eine fixe Todo-Liste nicht. Wenn per Mail neue Todo's seitens der Kunden auftauchen, lohnt es sich, sie sofort in die Liste einzutragen und die Liste zu priorisieren (wichtigstes/dringendes zuoberst).

Für das Verwalten von Meetings und Deadlines lohnt sich ein Kalender. Ich mag den Papier-Kalender sehr, da ich die Woche sehr einfach überblicken kann und auch Notizen möglich sind. Da ich aber mit einigen Firmen inzwischen Kalender teile, bin ich auf den digitalen Kalender umgestiegen. Der Vorteil hier ist, dass man sich z.b. einen Tag vorher an einen Termin erinnern lassen kann.

Auch wenn man es schlecht einschätzen kann, würde ich empfehlen, für jede Aufgabe eine Zeiteinschätzung vorzunehmen und im Nachhinein zu überprüfen, wie weit man daneben gelegen hat. So entwickelt man mit der Zeit (halbwegs) verlässliche Voraussagen.

Da die Motivation in einem Büro deutlich grösser ist (wer Youtube-Videos schaut, statt zu arbeiten, wird relativ schnell negativ auffallen), braucht es kleine Tricks, um sich am Arbeiten zu halten. Meiner Erfahrung nach hilft es, sich z.B. 4h Arbeitspensum vorzunehmen. Daraus lässt sich ein kleines Spiel machen ("mal schauen, ob ich auch 5h schaffe!") Gleichzeitig dient es aber auch als Obergrenze, d.h. länger arbeiten als geplant sollte eher die Ausnahme sein (sonst muss der Plan angepasst werden). Eine andere Möglichkeit ist, sich eine Todo-Liste für den Tag vorzunehmen. Mir ist es allerdings oft passiert, dass dann Punkt 2 auf der Liste mehrere Stunden in Anspruch genommen hat. Ich trage meistens in meinen Kalender die ungefähren Aufgaben pro Zeit ein, lasse dann aber eine Aufgabe auch mal offen liegen oder verschiebe den nachfolgenden Task auf den nächsten Tag, um die Aufgabe fertigstellen zu können. Gerade im Kreativbereich sind wir oft sehr engagiert, so sehr, dass wir Pausen und Freizeit vergessen, die aber für ein gesundes Leben unabdingbar sind. Denn das Problem ist meistens nicht mangelnde Zeit, sondern mangelnde Energie bzw. unkonzentriertes, zielloses Arbeiten.

Das als Starthilfe für ein Leben nach dem Studium. Ansonsten kann ich nur raten: die Freude an der Gestaltung nicht verlieren und bei allem Druck, den man sich oft selber macht, nicht zu vergessen, das Leben zu geniessen.