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30 01 | '17

Scheitern lernen

Mir fiel auf, dass mein Projekt seit einem halben Jahr vor sich hin mäandriert – es wechselt von einem Medium ins nächste und franst an den Rändern immer mehr aus. "Du kannst das die nächsten dreissig Jahre so weitermachen", dachte ich. "Irgendwann bist du sechzig oder achtzig und du wirst nichts vorzuweisen haben als ein paar Projektleichen, viele gute, vielleicht sogar hervorragende Ideen, die aber nie umgesetzt wurden. Und irgendwann wird es zu spät sein, um noch etwas zu ändern. Du wirst immer dieses Gefühl haben, dass es nur noch diese eine grandiose Idee braucht, dass da ganz viel Potenzial drin steckt... nur um dann die Arbeit nicht zu leisten." Vor zwei Tagen habe ich mich gezwungen. Es war nicht leicht. Eine Idee aus dem Pool gefischt, die da so in dem türkisefarbenen Wasser herumschwamm, sie getrocknet und mich gezwungen, zwei kleine Büchlein zu machen à 5 Seiten. Die Idee wollte sich in alle Richtungen bewegen, sie wollte ausbrechen, sie wollte sich weiterentwickeln, etwas ganz Grossartiges werden. Ich hab sie zurück in ihre Form gezwungen. "Du bleibst jetzt da!" Woraufhin sie beeindruckt und etwas eingeschüchtert sitzen blieb und mich aus grossen Augen anschaute. Dann waren die Büchlein fertig. Und der Katzenjammer stellte sich ein – zu wenig gut, nicht das, was ich will, was will ich überhaupt? Bis heute eine liebe Freundin drüber geschaut hat und die Sachen gar nicht so schlecht fand. Es ist aber schwierig, zu akzeptieren, dass es nicht das Werk des Jahrhunderts ist – und dass ich vielleicht nicht mal in fünf oder zehn Jahren soweit sein werde, meine Vision zu erfüllen. Und das ist etwas vom Schwierigsten für mich – zu scheitern. Nach einem halben Jahr Auszeit fange ich wieder an, zu zeichnen. Es ist übel. Die Linien fisseln unsicher vor sich hin, die Proportionen, die Konturen stimmen nicht, weil meine Wahrnehmung noch nicht fein genug ist, um die subtilen Unterschiede aufzunehmen. Es ist nicht lustig, ständig auf den Hintern zu fallen. Aber immer noch besser, als mit achtzig eines morgens zu erwachen und zu merken, dass man ein Leben in einer Seifenblase verbracht hat. Denn spätestens auf dem Sterbebett platzt die und dann bleiben davon nur noch ein paar Seifenrückstände übrig.