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19 02 | '17

Tun II.

Die Animation ist eine Enttäuschung. Unerträglich jucken die Zweifelläuse auf der Haut, dringen unter die Augäpfel. Ich muss an Apfelmus denken, mag aber gerade nicht essen.

Er steht neben mir und deutet wortlos auf meinen Bildschirm. Die schwarzen flirrenden Punkte umhüllen den Film, rauben mir die Sicht. "Verschwinde!", sage ich zu ihm.

Wider Erwarten dreht er sich wortlos um und geht. Der Countdown beginnt erneut. Vier Stunden für Schnitt und Ton.

Ich nehme einen Apfel zur Hand und schneide die faulen Stellen heraus. Der Rest ist durchaus noch geniessbar. Vielleicht sogar köstlich.

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Eine Stunde. Es ist so still geworden. Ich drehe mich nach ihm um. Er sitzt auf dem Boden, den Kopf gesenkt.

"Komm her!", sage ich laut.

Er schüttelt den Kopf.

"Wirklich. Komm her!"

Er kriecht vorsichtig in meinen Gehörgang und klopft dort sanfte Morsezeichen auf das Trommelfell. Der Rhythmus wirbelt durch die Nervenbahnen. Monokel brechen aus dem Meeresboden hervor und schwärmen an die Oberfläche, lange Ketten hinter sich ziehend. Nur für Sekunden öffnen sich die winzigen Glieder am Ende, um zu gebären. Die Monokel reisen durch die Wolken, hinauf durch die Stratosphäre ins All. Das Ende der Ketten immer noch im Wasser, gebärend. Damit endet seine Erzählung.

Vorsichtig greife ich an mein prickelndes Ohr. Heraus ziehe ich eine Kette. Und ich ziehe und ziehe und ziehe...

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Einedreiviertel Stunde. Er ist verschwunden. Einfach so. Nach einer Pause sehe ich mir die Animation erneut an. Etwas kitzelt in meinem Nacken. Nicht unangenehm. Da steht sie plötzlich, geschmückt mit Straussenfedern und Strasssteinchen, glitzernd und verheissungsvoll. Sie kichert und Perlen rieseln vom Himmel, schlagen klappernd aneinander. Die Luft ist erfüllt von Klappern und vom Rauschen des Straussenfächers.

"Lasst ihr mich denn nie in Ruhe?", murre ich genervt. "Geh weg!"

Ich wende mich dem Film zu und versuche, das Glitzern der Strasssteinchen zu ignorieren.

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Zwei Stunden. Der Film beendet. Die Strasssteinchen waren nichts als das verlockende Glitzern einer bodenlosen Wasserpfütze gewesen (wer seinen Fuss dort hinein setzt, stürzt hundert Meter in den Abgrund). Die Straussenfedern nichts als ein Windhauch.

Ein vertrauter Geselle ist er, der Kapuzenmann. Er ist zur Vertonung wieder da und hat drei seiner Kumpels mitgebracht. Die andern haben nicht nur Läuse, sondern Flöhe, Zecken und ein blutrünstiges Kaninchen mit Vampirzähnen im Angebot.

"Ihr seid doch...!" Ich winke ab. Drehe mich um. Ein schwarzes Loch eröffnet sich direkt vor meinem Gesicht. Ein Arm streckt sich langsam aus dem Loch heraus und winkt mit dem Zeigefinger. Komm her. Die Blockade säuselt leise vor sich hin. Ich klappe das schwarze Loch zusammen, falte es sechsmal und werfe es dann in den Mülleimer. Dann ziehe ich mir mein Kapuzenshirt über.

"So! Ihr könnt mich alle mal!"

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Drei Stunden und zwanzig Minuten. Die Kapuzenmänner sitzen rauchend in der Ecke und gönnen sich ein Bier. Feierabend für heute. Das schwarze Loch kam nochmals kurz aus dem Mülleimer herausgekrabbelt. Bevor es sich über den Bildschirm zuppeln konnte, konnte ich es einfangen und die Toilette herunterspülen. Werden schwarze Löcher in der Kläranlage herausgefiltert oder landen die im Trinkwasser?

Das Sandmännchen hat Schichtbeginn. Es klettert gerade in seine Arbeitskleidung und schnallt sich die Sandsäcke an den Gürtel, unter deren Gewicht die dünnen Beinchen fast einknicken. "Lauf mal eine Runde um den Block, ich muss noch vierzig Minuten arbeiten", sag ich. Das Männchen schaut mich aus halbgeschlossenen Lidern an und zeigt mir den Vogel. Schichtarbeit, zu wenig Sonnenlicht. Das macht miese Laune. Trotzdem stapft das Männchen davon. Ich atme erleichtert durch. Dann kann der Ton ja jetzt zu Ende gebracht werden. Wohlan!

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Vier Stunden vollständig. Das Sandmännchen steht bereit und guckt schon ganz vorwurfsvoll. Eine Minute und fünfzehn Sekunden Film inklusive Ton in acht Stunden. Der muss trotz Schichtbeginn noch kurz geguckt werden. Danach kann das Männchen gerne ganze Sandburgen streuen.