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09 05 | '15

Zielanpassungen

Vor ein paar Tagen fiel mir ein Artikel in die Hände, den ich einmal aus einer Gratiszeitung herausgerissen hatte: "ein Baby kommt schwanger zur Welt". Es ging um das medizinische Wunder, dass sich manchmal offenbar innerhalb eines Fötus ein weiterer Fötus entwickelt. Da war ein Ultraschallbild, das mich an meine Hirnscans erinnerte. "Hirngeburten", dachte ich. "Hirngeburten ist der Arbeitstitel meiner Arbeit."

Heute hat mich jemand gefragt: "Bist du eigentlich nie in der Situation, dass du nicht weisst, was du machen/zeichnen sollst?" Bin ich. Seit Anfang des Projektmoduls drucke ich, skizziere ich, schreibe ich ohne Unterlass. Aber nicht, weil ich genau weiss, was ich will. Im Gegenteil. Ich drucke weiter, obwohl ich von den Motiven alles andere als überzeugt bin, obwohl ich befürchte, dass der ganze tiefsinnige Inhalt zugunsten einer reinen Technikübung weicht, obwohl ich das sichere Gefühl habe, das Projekt gegen die Wand zu fahren. Ich mache einfach weiter, weil ich hoffe, dass durch das Handeln etwas passiert.

Zum ersten Mal seit dem Druckmodul im ersten Semester ist wieder ein künstlerisches Vorgehen möglich. Künstlerisch heisst in diesem Fall, dass man bei A anfängt, nach B will, aber plötzlich bei C landen kann, das sich im Nachhinein sogar als ein viel besseres Ziel herausstellt, als B jemals hätte sein können. Und nebenbei entdeckt man noch D, E und F, die das Ganze noch abrunden. Ich will nicht direkt von A nach B. Ich will mich selbst überraschen.

Und genau da tue ich mich in meinem Studium schwer - es fühlt sich eher an, als müsste man das Kind mit aller Gewalt drei Monate vor dem Geburtstermin herauspressen. Und wenn es nicht kommen will, dann muss es halt herausoperiert werden. Währenddessen steht noch der Arzt daneben und schreit ständig "Pressen! Pressen!"

Ich will nicht sagen, dass das falsch sein muss. Für mich war der eng gesteckte Rahmen und die häufigen Besprechungen sehr gut - wer bei A startet und bei Y landet, obwohl er nach B wollte, hat definitiv die Orientierung verloren und das ist mir mehr als einmal beinahe passiert. Diese Disziplin, die Richtung beihalten zu müssen, den schwierigen Punkten nicht einfach ausweichen zu könenn, das hat mir gut getan.

Vor Studienbeginn passte ich perfekt zur Illustration. Kürzere Comics, humorvolle Sketches, comicartiger Zeichenstil... Inzwischen bin ich viel stärker in die Abstraktion gegangen. Wenn ich comicmässig zeichne, bin ich frustriert, weil ich mich weiter entwickeln und nicht einen Stil aufgreifen will, der sich bewährt hat und den ich schon kenne. Aber auch inhaltlich hat sich einiges verändert. Psychologische Themen begannen, mich zu interessieren, das Thema Kommunikation spielte öfters eine Rolle, es gewann alles an mehr Tiefe. Und es gab drei Dozentinnen, die mein Denken und meine Art zu gestalten sehr stark in diese Richtung beeinflusst haben.

Schon seit einigen Monaten schnupere ich lieber in Kunstbüchern als in Comics und Illustrationsbüchern. Weil es immer wieder Kunstwerke gibt, die mich einfach umhauen, faszinieren, zum Denken anregen und betroffen machen. Und ich immer denke: sowas will ich auch machen!