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18 09 | '16

Im Reich der Zeichen

Früher war für mich ganz klar, dass Gestaltung deutlich und unmissverständlich kommunizieren sollte. Kunst hielt ich für intellektuelles Gewäsch, für einen Hirnfurz, um ehrlich zu sein. Doch dann geriet ich an ein paar besondere Dozierende, die nicht dieser Meinung waren. Ich wurde herausgefordert, meine Denkweisen zu überprüfen. Das löste einige Verwirrung bei mir aus, aber Verwirrung ist gut – Verwirrung bedeutet, dass etwas passiert im oberen Stübchen.

Und dann bekam ich kürzlich das Buch von Roland Barthes geschenkt: "Das Reich der Zeichen". Er war offenbar nie in Japan, hat aber ein (halb fiktives) Buch über die japanische Kultur geschrieben. Ich möchte einen Auszug daraus zitieren:

"Nicht die Stimme (mit der wir die "Rechte" der Person identifzieren) kommuniziert (kommuniziert was? Unsere – natürlich schöne – Seele? Unsere Aufrichtigkeit? Unser Prestige?), nein, der ganze Körper (die Augen, das Lächeln, das Haar, die Gestik, die Kleidung) unterhält mit Ihnen eine Art kindlicher Plauderei, der jedoch die vollkommene Beherrschung der Codes alles Regressive und Infantile nimmt. Eine Verabredung treffen (mit Gebärden, Skizzen und Namen) benötigt mit Sicherheit eine ganze Stunde; aber in dieser Stunde – was für eine Nachricht, die nur die Sache eines Augenblicks gewesen wäre, wenn man sie gesprochen hätte (und die darin zugleich wesentlich und bedeutungslos gewesen wäre) – hat man den ganzen Körper des anderen erkannt, geschmeckt und aufgenommen, hat dieser (ohne wirkliche Absicht) seine eigene Erzählung, seinen eigenen Text ausgebreitet." (Seite 23)

Als ich das las, musste ich unwillkürlich an das Unterbewusstsein denken. Einige Male habe ich etwas geträumt – als ich aufwachte, hatte ich zunächst noch deutlich innere Bilder vor Augen. Aber ich konnte sie nicht beschreiben, nicht einmal richtig fassen, weil sie völlig unbegreifbar, völlig unverständlich für mein bewusstes, vernünftiges Denken waren. Vielleicht kann unser Gehirn noch mehr Sprachen als kreativ, logisch, humorvoll, sprachlich und mathematisch. Was ist, wenn es darin eine Sprache gibt, die nicht in Worte übersetzt werden kann, weil sie zu abstrakt, weil sie nicht greifbar für unser bewusstes Denken ist? Dann müsste sie einen anderen, einen direkteren Weg finden. Und dann können in Wort gefasste Konzepte diesen Prozess nur stören, denn diese sind untrennbar mit dem logischen, vernünftigen Denken verbunden, mit Grammatik, mit Syntax. Vielleicht würde es eher dem Denken eines Tiers entsprechen, das instinktiv handelt und fühlt (obwohl es natürlich auch im Tierreich logisches Denken gibt). Und wo wäre dann die Grenze zwischen Willkür und dieser eigentümlichen Sprache? Vielleicht ist das Willkürliche gar nicht so zufällig, wie man denkt. Sondern Ausdruck dieser eigentümlichen Sprache, die Inhalte in ein Verhältnis zueinander stellt, die unserem logischen Empfinden so widersprechen und die wir gerne entrüstet von uns weisen. Wenn man jedoch nachforscht, werden durchaus Verbindungen sichtbar, die so nicht ersichtlich waren und die wir mit unserem logischen Denken niemals hätten herstellen können. Und dann kommunizieren wir vielleicht wirklich nicht mit Sprache, sondern mit unserem Körper, der seine eigene Erzählung ausbreitet.