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03 02 | '17

Künstlichkeit vs. Natürlichkeit

Roland Barthes' "Mythen des Alltags" thematisiert in einem Kapitel das Thema Natürlichkeit und Künstlichkeit. Er erzählt süffisant von den immerschwitzenden Römern mit den immergleichen Stirnfransen, wie sie in Filmen dargestellt werden. Zeichen, denen es sowohl an einer Natürlichkeit wie auch einer übertriebenen Künstlichkeit fehlt. Was ist es an dieser Zwischenwelt, das es so lächerlich erscheinen lässt?

Künstlichkeit muss bewusst inszeniert werden. Tut sie es nicht, dann ist es die Maske der Unsicherheit, ein halbherziger Versuch. Wirkt jemand im Alltag ungewollt künstlich, bekommt es einen schalen Beigeschmack – es ist eine Maske, die jedoch am Gesicht festgewachsen ist und die man nicht nach Belieben ablegen kann, weil man sich ihrer nicht bewusst ist. Das Ablegen einer solchen Maske wird zu einem schmerzhaften Prozess, benötigt es doch in dem Sinne chirurgische Eingriffe zur Trennung und die darunter liegende Haut ist überempfindlich, wund, überreagiert auf Sonnenlicht und eine sanfte Frühlingsbise fühlt sich an wie ein Tornardo in den Hautporen. Und vielleicht muss darunter überhaupt ein Gesicht plastisch konstruiert werden, vielleicht ist es diese Gesichtslosigkeit, welche sich störend auswirkt. Vielleicht müssen im Reagenzglas gezüchtete Nasen und Wangen und Ohrteile montiert werden und vielleicht ist es dann ein Ausprobieren immer neuer Nasen und Wangen, bis das Gesicht "stimmt". Sofern dieser Zustand überhaupt jemals erreicht werden kann. Jedenfalls ist dieser Prozess lohnenswerter, als die Fertignasen und Fertigohren aus dem Tiefkühlregal des Supermarkts zu holen. Ein Massenartikel, aus dem auf seine Art eine erneute Gesichtslosigkeit entsteht – und das trotz sichtbarer Gesichtszüge (die nicht auf Schienen unterwegs sind, aber es sein könnte... so wie sie auch entgleisen können). Glauben machen zu wollen, dass trotz deutlich glatter Hautoberfläche ohne Einbuchtungen für Augen und Mund, ohne die schöne Erhebung des Nasenbergs aus der Fläche heraus doch deutlich ein Gesicht zu sehen sei, ist ein Täuschungsversuch, der nicht funktioniert – ebenso wie ein paar Stirnfransen keinen authentischen Römer produzieren, sondern im Mund deutlich künstlich schmecken wie ein gummibärchenverseuchter Energydrink. Auch wenn der Versuch dessen nichts als verständlich ist, ist es doch weitaus weniger schmerzhaft als das oben erwähnte Ablösen der Maske.

Verhält man sich jedoch übertrieben künstlich, ist man sich dieser Künstlichkeit bewusst, somit auch der Authentizität fähig – denn zur Überspitzung von Merkmalen braucht es ein Bewusstsein derselben.

Schlussendlich sagt der Einsatz von Zeichen im von Barthes kritisierten Sinne (seine Sprache färbt definitiv ab) etwas über die Macher der Filme aus. Nämlich, dass sie sich mit der Materie nicht auseinandergesetzt haben – sei es nun aus Faulheit oder aus fehlenden Fähigkeiten.