Woher kriegt man Inspiration?
Eigentlich braucht es keine Inspiration. Inspiration kommt von selbst, wenn man mit offenen Augen durch den Alltag geht. Hier sehe ich einen aufgedruckten Pfeil auf der Strasse, der jedoch ausgewaschen ist - durch die Risse scheint der Teerboden hindurch. Fahrräder sind total faszinierend, wenn sie Schatten werfen, die sich übereinander legen. Eine Nonne im Tram. Die gockelhafte Ausstrahlung eines Geschäftsmannes, der auf der Strasse vorbeistolziert. Oder einfach die Frage: Wie viele verschiedene Ohren gibt es? Sehen sie alle gleich aus? Auf wie viele Arten kann man einen Mund bewegen? Wie zeichne ich eine laute Zeichnung, wie eine leise oder eine, die sich mies fühlt?
Inspiration erhalte ich auch in der Bibliothek. Es können Kunstbücher sein, Comics, aber auch interessante Artikel in einer Zeitschrift. Einmal weg vom Internet, wo man die Inhalte nur flüchtig aufnimmt und wieder vergisst.
Inspiration gibt es im Kunstmuseum - wann immer ich gehe, will ich am liebsten rausstürmen und irgendwas Tolles zeichnen. Kürzlich habe ich Benedikt Notter im Kunstmuseum entdeckt und mich spontan in seine Bilder verliebt. Leider wird seine Webseite seinen Werken nicht wirklich gerecht. Vielleicht kommt man plötzlich auf die Idee, die seidige Qualität von feinen Bleistiftschattierungen auszuprobieren oder den Reiz von Ornamenten. Vielleicht probiert man mal einen dicken, fetten Pinsel aus und setzt daneben feinere Tuschestriche. Neue Zeichentechniken auszuprobieren bedeutet immer wieder von Neuem anzufangen. Ich kann mit der Zeichenfeder inzwischen ganz gut umgehen, mit Aquarell dagegen falle ich regelmässig auf die Nase. Dann braucht es ein wenig Mut, eine neue Technik so lange auszuprobieren, bis man langsam gute Ergebnisse erzielt. Man wird auf jeden Fall besser, wenn man nur lange genug dran bleibt. Es braucht nur Durchhaltevermögen und ein wenig Selbstreflexion.
Inspiration kommt damit, dass man seine eigenen Interessen entdeckt. Warum genau will ich die Frau im Zug gerade zeichnen? Was interessiert mich an ihr? Ist es ihr übertriebener Lippenstift, ist es eine verdrehte Körperhaltung, die hochgezogenen Augenbrauen?
Inspiration ist irgendetwas zwischen Interesse, Begeisterung und Mut. Wenn man im Alltag viel beobachtet (auch wenn man gerade nicht zeichnet) und viel ausprobiert, kommt die Inspiration von selbst. Probiert es einfach aus. Schlimmstenfalls kommt dabei eine Zeichnung heraus, die euch nicht gefällt - aber da müssen wir alle durch, das gehört dazu. Im besten Fall jedoch entdeckt Ihr wieder ein Stückchen Welt neu.