Vom Zweifeln.
Was einem keiner sagt: nach dem Studienabschluss bricht das Selbstvertrauen ein. Ohne Dozierende, die einen zum Widerspruch oder zur Zustimmung reizen, die einen Rahmen abstecken, ist man plötzlich verloren und fängt an, brave, konservative Bilder zu machen, die ganz sicher gut ankommen werden. So ging es zumindest mir. Es hat drei Jahre gedauert, um viel Wissen über Bilder, Herstellungstechniken, Erzählweisen und Meinungen zu lernen, und dann nochmals zwei Jahre, um dieses Wissen beiseite zu stellen und die alte "Naivität" wiederzufinden.
Das erste Jahr machte ich praktisch nur ungegenständliche Bilder. Bloss keine fassbare Botschaft übermitteln, nichts, was sich irgendwie festnageln oder kritisieren liesse. Ich war erstarrt vor Angst. Jedes schlechte Bild schien ein Komplett-Versagen zu sein, wieder einmal ein Beweis dafür, dass ich nicht "visuell" denke, dass ich lieber bei meinem Leisten bleiben sollte, dem Schreiben. Keine Ahnung, wieso ich trotzdem weitermachte. Vielleicht Sturheit, vielleicht, weil eine gewisse Stimme, die mir damals gesagt hatte, ich solle es lieber sein lassen, nicht Recht behalten sollte.
Es war eine Achterbahn wie zu Teenagerzeit: heute war Bild X das Beste, was ich je gemalt hatte, und ich war ein Genie, morgen hasste ich das Bild. Zwei Monate später fand ich das Bild wieder wundervoll. Das gehört zum Prozess dazu und es ist eine Erfahrung, die man wohl nicht vermeiden kann, will man wirklich die eigene Stimme finden.
Dann kam eine Pause, in der ich gar keine Bilder mehr gemacht habe. Mir fehlte neben den Jobs und privaten Problemen schlicht die Energie dazu. Für einen Moment hätte ich sogar fast aufgegeben. Doch irgendwann tauchte die alte Sehnsucht nach der Kreativität wieder auf.
Im letzten halben Jahr dann begann ich mit dem Fotografieren. Im Gegensatz zum Zeichnen ging ich hier durch den Alltag und arbeitete mit den Gegebenheiten, die ich auf meinen Stadt-Spaziergängen antraf. Ich schoss über fünfhundert Fotos, kombinierte sie jeweils mit einem einzigen Wort und achtete dabei nicht einmal besonders auf die Bildqualität. Es ging darum, genau zu beobachten, welchen Inhalt ein Bild transportiert. Das Erlernen des visuellen Denkens, dessen Beherrschung man mir abgesprochen hatte, statt es mich zu lehren.
Seit ein paar Tagen fange ich an, alle Medien durcheinander zu mixen. Und endlich fühlt es sich an, als würde ich endlich mein altes, rebellisches Ich in den Bildern wiederfinden. Es ist beängstigend. Zu oft hatte ich die Zweifel überhand werden lassen, was immer mit schlechten Bildern und schliesslich einem Abbruch einer kreativen Phase endete, nach der ich mühevoll von Neuem den Anschluss finden hatte müssen. Oder ich hatte gar nicht mehr gewusst, was ich wollte, weil alle möglichen Techniken und Motive mich lockten, was meistens in einer kreativen Erstarrung geendet hatte.
Aber diesmal ist es anders. Ich mache keine Projekte mehr. Ich nehme mir nichts vor. Ich habe einen konstanten "Stream" von Bildern, die ich jede Woche produziere. Je unaufgeregter und beiläufiger das vonstatten geht, desto mehr traut sich die wahre Kreativität raus und desto weniger fange ich an, mich als Genie oder Versagerin zu sehen (was beides sehr unproduktiv ist). Die Basisarbeit ist gemacht, das Vertrauen zu meiner inneren Stimme immer stärker. Und wenn ich doch mal wieder zweifle, bleiben mir die Basisübungen von früher, um mich wieder zu erden.
Und nein, ich arbeite derzeit nicht als Illustratorin und ich bin dankbar dafür. Vielleicht werde ich das irgendwann tun, vielleicht auch nicht. Das Wichtigste ist: ich bin jeden Tag kreativ, der Alltag ist erfüllt von knisternder Magie, während ich in technischen Jobs arbeite, die mir genügend emotionale Energie dafür lassen. Und das ist das schönste Leben, das ich mir vorstellen kann.